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Neue Autorität

Die individuelle partizipative Förderung von Entwicklungsprozessen stellt eine grosse Herausforderung dar. Sie erfordert einen reflektierten Umgang mit Macht und Autorität sowie einen situativ angepassten Erziehungsstil. Wir stützen uns auf das Konzept der «Neuen Autorität» von Haim Omer, Professor für Psychologie an der Universität Tel Aviv.

Im Folgenden werden zentralen Aspekte der Neuen Autorität Aspekten der traditionellen Autorität gegenübergestellt, wie sie Heim Omer beschreibt.

TRADITIONELLE AUTORITÄT

Die Autoritätsperson lebt eine distanzierte Beziehung zum Kind. Sie hat Angst, dass sie ihre Autorität verliert, falls sie zu viel Nähe zum Kind zeigt.

NEUE AUTORITÄT

Erziehende sind präsent, wenn sie die Botschaft vermitteln: «Ich bin da und ich bleibe da, komme, was wolle. Du bist mir wichtig!» Indem Erwachsene sich mit ihren Werten und Überzeugungen positionieren, erfüllen sie für das Kind eine wichtige Ankerfunktion. Die wachsame Fürsorge der Erziehenden ist ein zentraler Schutzfaktor für die Entwicklung der Kinder.

TRADITIONELLE AUTORITÄT

Autorität wird mit Gehorsam gleichgesetzt. Der Grad der Autonomie des Kindes nimmt mit zunehmendem Kontroll-Gehorsam ab.

NEUE AUTORITÄT

Die Kontrolle des Verhaltens von Kindern und Jugendlichen durch Erziehende ist Illusion. Erziehende können nur ihr eigenes Verhalten bestimmen und Massnahmen umsetzen, um das Verhalten des Kindes zu beeinflussen. Selbstkontrolle bedeutet Stärke, da sich Erziehende nicht durch Kinder zu Handlungen verleiten lassen und so Eskalationsprozessen vorbeugen.

TRADITIONELLE AUTORITÄT

Regelüberschreitungen müssen sofort mit Massnahmen und Konsequenzen geahndet werden. Dies führt oft zu impulsiven, überzogenen Reaktionen.

NEUE AUTORITÄT

Anstatt unmittelbar und heftig auf ein destruktives, grenzüberschreitendes Verhalten zu reagieren, kündigen Erziehende kurz und deutlich an, dass das gezeigte Verhalten des Kindes nicht toleriert wird und dass sie darauf zurückkommen werden. Dadurch lassen sich Eskalationen und überstürzte Ankündigungen von Konsequenzen, die anschliessend nicht umgesetzt werden können, vermeiden. Durch die gewonnene Zeit lassen sich die Handlungsoptionen erweitern. Dies führt in der Regel zu zufriedenstellenden Lösungen für alle Beteiligten.

TRADITIONELLE AUTORITÄT

Die Autoritätsperson muss mit Sanktionen auf Fehlverhalten des Kindes reagieren, um ihre Autorität zu demonstrieren und sich durchzusetzen. Dies führt zu Machtkämpfen, die unbedingt gewonnen werden müssen, da sonst Gesichtsverlust droht.

NEUE AUTORITÄT

Die Erziehenden halten die Kinder dazu an, verursachten materiellen, physischen und psychischen Schaden wieder zu beheben. Die Wiedergutmachung unterstützt die Reintegration der Kinder und Jugendlichen in die Gemeinschaft.

TRADITIONELLE AUTORITÄT

Kritik am Handeln der Autoritätsperson wird mit der Kritik an der Person und somit deren Autorität gleichgesetzt. Die Autoritätsperson kann aus Angst vor Blössen keine Fehler eingestehen.

NEUE AUTORITÄT

Insbesondere Gewalt und Vandalismus werden in der Gemeinschaft öffentlich gemacht, ohne die Betroffenen anzuprangern. Auch die Autoritätspersonen informieren transparent über ihre Schritte. Dadurch wird die Sicherheit aller Betroffenen erhöht.

TRADITIONELLE AUTORITÄT

Die Autoritätsperson beruft sich auf ihre Position und ihren (höheren) Status. Sie handelt dadurch im Alleingang. Hilfe anzunehmen wird als Schwäche bewertet.

NEUE AUTORITÄT

Indem andere Erwachsene angefragt werden, einen Pädagogen im «Kampf» gegen destruktives Verhalten zu unterstützen, wird die Autorität besser legitimiert und Eskalationen werden vermieden. Der Pädagoge handelt als Repräsentant eines Netzwerkes und vertritt dessen Werte.

(Quelle: Omer, H. & von Schlippe, A. (2006). «Autorität durch Beziehung»)

Mit dieser pädagogischen Ausrichtung und dieser neuen Haltung bietet der Speerblick den Kindern und Jugendlichen einen Rahmen, der ihnen die nötige Sicherheit, klare Strukturen und verlässliche, tragfähige Beziehungsangebote gibt, damit sie sich emotional und psychisch optimal entwickeln können.

Für die Kinder und Jugendlichen bedeutet das: Ihre Handlungsstrategien und Fähigkeiten werden erweitert. Sie sind in der Lage, Beziehungsangebote als solche wahrzunehmen, einzugehen, aufrechtzuerhalten und Freundschaften zu pflegen. Sie übernehmen Verantwortung für ihr Leben.